6 Mal war es fast zu spät

Sechs Mal ist er auf dem Boden in einem Klo aufgewacht. Sechs Mal hätte es zu spät sein können. Das hat er aber erst später verstanden. „Meine ersten Gedanken nach dem Aufwachen waren nur – fuck ich hab den Turn verpennt.“ Heroin. Heroisch. Egoistisch. Die Geschichte von David.

David sitzt mir gegenüber. Er wirkt locker, entspannt. Er lächelt oft und redet offen.

Spirale abwärts

David ist heute 36 Jahre alt. Das Kiffen begann er mit 15 Jahren. Mit 16–17 Jahren gingen die chemischen Drogen los. Über ein paar Zufälle kam er erst an Benzodiazepine, sogenannte Benzos, dann folgte Heroin. „Mit 21 habe ich angefangen zu spritzen.“ Bis 27 hing er an der Nadel.

Irgendwann hat er überall konsumiert, auch auf der Arbeit. Er wollte gewisse Dinge nicht spüren. Da war Cannabis genau die richtige Droge. Aber mit zunehmendem Drogenkonsum, wuchsen auch die Probleme. „Es wurde immer schlimmer. Ich hatte ständig Filmrisse und habe irgendwann auch Straftaten begangen.“

Konsum

Heroin kommt von heroisch. Aber die Droge macht einen alles andere als heldenhaft, sie macht egoistisch und gleichgültig. „Dir ist alles egal, hauptsache du kommst an dein Zeug.“

Zu Suchtzeiten war es für David das wichtigste, wieder an Stoff zu kommen. „Täglich habe ich circa 40 Euro für Heroin und zehn Euro für Hasch ausgegeben. Und dann noch ein bisschen Geld für ein paar Bier.“ Doch seine Sucht kostet ihn nicht nur Geld, sondern auch Zeit. „Es war ein ständiges Herumgefahre. Du brauchst Geld, du brauchst Stoff und du brauchst was zum runterkommen. Kein Geld zu haben schützt einen auf jeden Fall davor, zu sterben.“

Um das Geld für die Drogen zu beschaffen musste er kreativ sein. „Irgendwann habe ich Rezepte gefälscht und verkauft um an das Geld zu kommen.“

Der Wandel

Eines Tages hat ihn die Polizei mit einer Tüte Gras erwischt, es war eine Kleinstmenge. Durch die Verhaftung fiel zufälligerweise sein Rezeptbetrug auf. Urkundenfälschung lautet der Gesetzesverstoß – kein Kavaliersdelikt. “Ich wusste entweder wandere ich in den Bau oder ich mache eine Therapie.“ Also begann er schon vor der Verhandlung mit der Therapie. Nicht aber mit dem Ziel, clean zu werden, sondern um nicht ins Gefängnis zu wandern. Nach der Verhandlung war er weitere 10 Monate auf Therapie. Erst nach circa fünf Monaten clean sein merkte er, dass man sich nüchtern auch gut fühlen kann. „Wenn ich jetzt drüber nachdenke, was ich alles während meiner Sucht verpasst habe.“

Er war endlich clean. Zweieinhalb Jahre später kam er über Alkohol wieder ans Kiffen und dann an Crystal Meth. „Nach dem ich mir circa zehn Mal Crystal gespritzt habe wusste ich: das geht zu weit, ich muss wieder auf Therapie!“ Zu dieser Zeit hat er täglich drei bis fünf Bier getrunken, gekifft und eigentlich alles genommen was er bekam. „Ich war wieder drinnen. Egal was ich gekriegt hätte, ich hätte alles genommen.“

Viele Drogen, eine Sucht

David ist polytox. Das heißt, dass er verschiedene Substanzen konsumiert. Er ist abhängig von verschiedenen Drogen, konsumiert alles was er in die Hände bekommt. Natürlich hatte er auch Vorlieben – „Meine Lieblingsdroge war schon immer kiffen. Bei den härteren Drogen mochte ich Heroin, Crystal und Benzos.“

Nach dem Crystal Konsum folgte die zweite Therapie, die er nach sechs Wochen abbrach. Denn sie zielte darauf ab, wieder ein strukturiertes Leben zu bekommen und das hatte er schon. Trotz Therapieabbruch blieb er clean. „Im Anschluss bin ich gleich im Freundeskreis, einer Selbsthilfegruppe, gelandet.“

Sein neues Leben

Nun ist er seit vier Jahren clean. Grenzen setzten ist unabdingbar, um sauber zu bleiben. „Wenn ich etwas esse und nicht weiß, dass Alkohol drinnen ist, ist das ok. Wenn ich weiß, dass da Alkohol drinnen ist, esse ich es nicht. Wichtig ist immer wo man die Grenze setzt. Weicht man sie einmal auf, verschwimmt sie immer mehr bis man wieder tief im Konsum steckt.“

David lebt ein Leben in vollkommener Abstinenz, kontrolliert konsumieren kann er nicht. „Es lebt sich leichter als mit einer flüssigen Grenze. Wenn du einmal ein Suchtmensch warst, bleibst du immer ein Suchtmensch. Der Suchtmechanismus bleibt ein Leben lang. Gegen Sucht darfst du nicht ankämpfen, denn du kannst nur verlieren. Du musst kapitulieren und nein sagen.“

Um clean zu bleiben, hat David einige Ratschläge: „Hilfe annehmen ist von großer Bedeutung, nur wenige schaffen es ganz alleine raus aus der Sucht. Grenzen setzen, sich in keine Gefahrensituationen begeben und Hobbys sind auch wichtig, um clean zu bleiben. Jeder der den Absprung schafft ist sehr froh darüber, es lohnt sich clean zu sein!“

David ist nun in einem Sportverein. Dort erntet er viel Respekt. „Damit kann ich nicht umgehen. Es fühlt sich blöd an, Komplimente für meine Schwäche zu bekommen. Das ich sie umgepolt habe, macht mich ja nicht weniger schwach.“ Außerdem engagiert er sich in der Selbsthilfegruppe Freundeskreis und sitzt dort im Vorstand.

Die Selbsthilfegruppe Freundeskreis

Die Selbsthilfegruppe ist David sehr wichtig. Es gibt Tage an denen er seine Sucht auch heute noch sehr spürt. „Ab und an merke ich noch den Suchtmechanismus in mir. Der wird auch nicht verschwinden. Zum Beispiel beim Blut spenden, da macht mir die Nadel an manchen Tagen gar nichts aus. An anderen löst sie in mir ein Gefühl aus als hätte ich Crystal gedrückt.“ Genau aus diesem Grund ist es so wichtig, Selbsthilfegruppen zu besuchen. Dort kann man sich regelmäßig mit Leuten, die ähnliche Probleme haben, austauschen. Nicht nur Süchtige, auch viele Angehörige kommen zu den Treffen im Freundeskreis. „Leider kann man Süchtige nicht heilen, das müssen sie selber tun. Es ist schwer zu akzeptieren, dass Unterstützung geben wichtig ist, aber man eigentlich nichts ändern kann.“ Auch David hat andere Suchtfälle in der Familie. Er ist Angehöriger und Süchtiger zugleich.

Süchtige sind ganz normale Menschen

„Ausgrenzung erfahre ich selten, eigentlich nie. Zur Gesellschaft gehöre ich trotzdem nicht. Sucht haben immer nur Andere. Niemand gibt offen zu, dass er süchtig ist.“ David erfährt zwar keine Ausgrenzung – das Interesse an seiner Sucht ist trotzdem gering. „Sobald ich tiefer ins Detail gehe, schalten die meisten ab. So etwas wollen nur die wenigsten wissen. Sie können es nicht verarbeiten, für sie ist Sucht und Therapie etwas komisches.“ David wünscht sich einen offeneren Umgang mit dem Thema Sucht.

Doch nicht nur eine offenere Diskussion und eine Integration des Tabuthemas in die Gesellschaft ist seiner Meinung nach von Bedeutung: „Es ist so wichtig das Süchtige als normale Menschen gesehen werden. Sie sollen nicht nur geduldet werden, denn es sind ganz normale Menschen. Süchtige sind keine schlechteren Menschen, auch wenn es manchmal so scheint. Ich war auch kein schlechterer Mensch. Ich habe geschaut das ich überlebe, geschadet habe ich niemanden.“

Famous Last Words

„Wäre ich nicht süchtig gewesen, wäre ich heute nicht hier. Und ich bin froh hier zu sein. Aus einer Sucht kann man viel lernen. Ich würde nichts anders machen. Wäre ich nicht süchtig gewesen, wäre ich wahrscheinlich oberflächlicher und hätte mich nie so mit mir selbst auseinandergesetzt. Ich würde Dinge nicht so schätzen können, wie heute!“

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